Das Geheimnis der Freiheitsstatue – Teil 2

Ben dachte sofort nach, ob er etwas ausgefressen hatte, aber er konnte sich beim besten Willen an nichts dergleichen erinnern. Ein bezahltes Ticket für die U-Bahn hatten sie auch. Der Mann sah irgendwie einschüchternd aus, fand Ben, vielleicht war es ein Kapitän oder ein Verkehrspolizist? Jedenfalls trug der Mann eine Mütze und viele Litzen am Jackett.

„Wohin so eilig?“, sprach der Mann. „Ihr wollt doch wohl nicht nach Liberty oder Ellis Island? Wenn ja, muss ich euch leider enttäuschen. Ihr seid heute viel zu spät dran. Die Fähren sind heute, morgen und übermorgen total ausgebucht! Tickets gibt´s nur noch bei vorbestellten Karten.“

Ben glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen. „Was? Das darf doch nicht wahr sein! Ich muss da aber heute hin, sonst ist meine ganze Hausaufgabe im Eimer.“ Er starrte den Mann entsetzt an und ließ enttäuscht die Schultern hängen.

„Was sollen wir denn jetzt bloß machen?“, sagte Ben mehr zu sich selbst.

Jack war genauso wütend und enttäuscht. Er trauerte immer noch seinem verpassten Baseballspiel hinterher und machte Ben bittere Vorwürfe.

„Wieso hast du mir bloß nicht vorher geschrieben, dass du nach Liberty Island rüber willst? Ich hätte vor Tagen locker die Tickets buchen können. So ein Mist! Wegen deiner miesen Planung haben wir jetzt gar nichts und alles verloren! Ich hab keine Ahnung, was wir jetzt machen sollen.“

Ich hätte da eine Idee“, sagte der uniformierte Mann und beugte sich zu ihnen herunter. „Ihr könnt ja die Inseln vom Wasser aus anschauen, ohne die Inseln zu betreten. Dann könnt ihr zumindest die Freiheitsstatue aus der Nähe sehen. Die Rundfahrt um Liberty Island dauert eine Stunde und kostet 30 Dollar“, versuchte der Mann die Jungen zu trösten.

„Sollen wir das machen?“, fragte Jack Ben und es ging ihm gleich viel besser. Wie freundlich der Mann war!

„Weiß nicht“, überlegte Ben. „Aber Danke für den Tipp, das ist wirklich sehr nett von Ihnen“, antwortete Ben unsicher. „Ich denke drüber nach.“

„Aber zögert nicht zu lange, sonst sind die besten Karten verkauft!“, antwortete der Mann leicht angesäuert. Dann zog Ben Jack mit sich fort in Richtung Hudson River, vorbei an fahrenden Händlern, die Smoothies oder grüne Filzkronen der Freiheitsstatue verkauften.

„Was hast du denn, wieso willst du jetzt nicht? Das ist doch die beste Lösung, wenn’s schon keine Karten mehr gibt. Der Typ da will uns helfen, und du machst so ein Theater.“

„Spinnst du? Das kommt überhaupt nicht in Frage. Lieber schwimme ich da rüber“, widersprach Ben heftig. „So viel Geld hab ich nicht! Außerdem kommt mir das viel zu teuer vor. Irgendetwas stimmt nicht mit dem Typen …“

Ben lehnte am Geländer und schaute auf die im Hafen des Hudson River liegende Freiheitsstatue hinaus. Aus dieser Entfernung konnte Ben die vergoldete Fackel, die die römische Göttin der Freiheit, Libertas, nach oben hielt, gar nicht erkennen. Missmutig beobachtete er die Fähren, die an ihm vorbei nach Staten Island, einer weiteren Insel im Hudson River, fuhren. So hatte er sich das nicht vorgestellt.

„Sollen wir das machen?“, fragte Jack Ben und es ging ihm gleich viel besser. Wie freundlich der Mann war!

„Weiß nicht“, überlegte Ben. „Aber Danke für den Tipp, das ist wirklich sehr nett von Ihnen“, antwortete Ben unsicher. „Ich denke drüber nach.“

„Aber zögert nicht zu lange, sonst sind die besten Karten verkauft!“, antwortete der Mann leicht angesäuert. Dann zog Ben Jack mit sich fort in Richtung Hudson River, vorbei an fahrenden Händlern, die Smoothies oder grüne Filzkronen der Freiheitsstatue verkauften.

„Genauso musste es den Einwanderern damals ergangen sein, als sie von der Einwanderungsbehörde auf Ellis Island aus zwar die Hochhäuser von New York sehen, aber nicht hinüberkonnten“, überlegte Ben.

Eine Welle des Mitgefühls übermannte ihn, als er sich dieser Situation bewusst wurde. Wie grausam war es, das ersehnte Ziel, die Freiheit, zum Greifen nahe vor sich zu sehen, mit einem unüberwindlichen Wassergraben dazwischen.

Plötzlich hatte Ben eine Idee. „Jack, weißt du was“, sein Gesicht hellte sich auf, „vielleicht gibt’s Leute, die ihre vorbestellten Tickets gar nicht abholen, dann hätten wir doch noch eine Chance, auf die Inseln zu kommen. Wir haben sowieso nichts Besseres zu tun, also können wir auch durch den ‚Garten der Erinnerung’ bis hinüber zum Clinton Castle gehen, in dem die Kassen für die Fähren liegen und uns erkundigen.“

„So ein Quatsch, das bringt bestimmt nichts“, protestierte Jack. Er hatte ehrlich keine Lust, bei der Hitze auch noch durch einen Park zu laufen.

Schließlich trottete er seinem Freund doch hinterher, der unverdrossen durch den Park entlang des Hudson Rivers ging.

Lange Menschenschlangen standen an den Ticketschaltern.

„Ich hab mich getäuscht“, musste Ben sich eingestehen. „Ich dachte schon der Mann hat uns reingelegt. Das müssen die Leute sein, die ihre vorbestellten Tickets abholen“, vermutete er. Trotzdem reihten sie sich in die Schlange ein und warteten.
„Fragen kostet ja nichts“, dachte Ben.

Nach beinahe einer Stunde Warten in der heißen Julisonne waren Ben und Jack an der Reihe.

Zu ihrer Verblüffung erhielten sie sofort ein Ticket. Ohne Probleme. 18 Dollar und 50 Cent kostete die Hin- und Rückfahrt zu beiden Inseln.

„Wenn ihr euch beeilt, kriegt ihr die Fähre noch, die in 5 Minuten ablegt“, ermahnte sie die freundliche Frau am Ticketschalter zur Eile.

Ben und Jack nahmen die Beine in die Hand, rannten die Gangway entlang, passierten die Sicherheitskontrolle am Ablegesteg und eroberten schließlich zwei Sitzplätze auf dem Oberdeck der Fähre.

„Ich fasse es nicht“, rief Ben und schüttelte den Kopf. „Mir geht allmählich ein Licht auf. Der Mann am U-Bahn-Ausgang hat uns angelogen. Er wollte uns hereinlegen. Die Fähren waren überhaupt nicht ausgebucht. Der Mann wollte uns die Rundfahrt einer privaten Reederei zum überteuerten Preis verkaufen. Wie viele ahnungslose Touristen ihm wohl schon auf den Leim gegangen sind?“

Jack nickte. „Hätt’ ich eigentlich wissen müssen, als New Yorker!“, murmelte er entschuldigend vor sich hin.

Dann legte ihre Fähre, die „Liberty“ hieß, vom Landesteg ab.

Wenig später ließ die Fähre auf Liberty Island die Menschen aussteigen, die auf die Freiheitsstatue klettern wollten und fuhr dann in Richtung Ellis Island weiter. Jetzt erst passierte die Fähre die Freiheitsstatue ganz aus der Nähe und alle Passagiere sahen andächtig auf die fast 100 Meter hohe Kolossalstatue hinüber, die so vielen Menschen als Symbol für Gerechtigkeit, Freiheit und Hoffnung auf ein selbstbestimmtes Leben galt. Wahrscheinlich entdeckte jeder Einwanderer auch etwas ganz Besonderes für sich an dieser Statue, und das machte sie vielleicht auch so geheimnisvoll, überlegte Ben.

Ben beobachtete die Menschen um sich herum. Sie schienen alle glücklich zu sein, voller Ehrfurcht ließen sie die Statue vorüberziehen.

Ben dachte erneut an seinen Urgroßvater. Wie muss es damals für ihn gewesen sein, als er die Freiheitsstatue zum ersten Mal nach einer beschwerlichen Reise erblickt hat? Was hatte er alles auf sich genommen? Es war bestimmt nicht leicht, sein altes Leben hinter sich zu lassen und sich hier etwas Neues aufzubauen.

Während Ben das Wasser an sich vorübergleiten ließ, wanderten seine Gedanken zurück zu dem Typen am U-Bahn-Ausgang. Er war froh darüber, dass er sich nicht hatte beirren lassen und sein Ziel trotzdem weiterverfolgt hatte. Er hatte nicht aufgegeben, sondern an sich und sein Gefühl geglaubt. Und das hatte er ein Stück weit Professor Morgenstern zu verdanken, der die Earthgang stets in ihren Zielen unterstützte.

Ben war mächtig stolz, dass sein Freund Jack ihn nicht im Stich gelassen hatte.
Jack stand neben ihm. „Wie gut, dass du eben so hartnäckig warst, sonst wären wir jetzt nicht hier“, sagte er. Die beiden Freunde knufften sich gegenseitig und lachten. Sie hielten ihre Nasen in den Fahrtwind und sahen gespannt ihrem Ausflug entgegen.

ENDE

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